Nach vorne leben

Himmelfahrt 2021

Worauf schaust Du? Ich derzeit morgens in der Zeitung zuallererst auf die Inzidenzzahlen. Letzte Woche habe ich mit bangem Blick auf meine Schnelltests geschaut. 15 Minuten können lang werden.

Wie leicht ist mein Blick gefesselt von dem, was ich nicht verstehe, nicht erklären kann – was mir Angst macht. Aber dann passiert es, dass mein Blick auf etwas anderes fällt. Das ging mir so bei Kindergarten-Andacht über Himmelfahrt: Ich wunderte mich über das Bild in der Kinderbibel.

Welche Freude ist da zu sehen! Jesus als der Auferstandene inmitten von vielen Großen und Kleinen. Ja, die Bibel erzählt von viel freudiger Erregtheit der Jünger, nachdem der erste Schreck und die Lähmung verflogen waren. Große Erwartungen, was jetzt kommen wird – da nicht einmal der Tod mehr ein Hindernis darstellte. Was für eine Lebenskraft muss die Menschen erfüllt haben. „Wirst Du jetzt König werden?“ fragen die Jünger Jesus.

Aber Jesus wehrt ab: „Ihr braucht die Zeiten und Fristen nicht zu kennen. Mein Vater allein hat sie in seiner Vollmacht festgelegt. Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr Kraft empfangen. Denn werdet ihr meine Zeugen sein.“ Und daraufhin wird er in einer Wolke in den Himmel emporgehoben.

Und hier die zweite Überraschung in der Kinderbibel: da ist gar keine Wolke abgebildet. Ich muss gestehen: bei Wolke denke ich an so graue Regenwolken. Aber wenn Jesus von einer Wolke in den Himmel gehoben wird, dann wird das keine Regenwolke gewesen sein, keine dunkle. Sondern im Gegenteil: sie muss strahlend hell gewesen sein: erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Keine Verdunklung der Sonne – sondern im Gegenteil – die Wolke als das echte, wahre Licht, denn sie trägt in diesem Moment ja das wahre Licht der Welt, Jesus, in sich.

Und dann – dann ist sie weg. Und Jesus mit ihr. Darüber könnten wir die Köpfe hängen lassen. Oder aber: Gott danken, dass Jesus aufgenommen wurde in die Herrlichkeit des Vaters. Dass er jetzt zur Rechten Gottes thront, unangreifbar und herrlich, bis ihm alles zu Füßen liegt. Gott sei Dank, dass er uns den Geist gegeben hat! Und dass er uns und seine Kirche baut und erhält, allen Widerständen zum Trotz.

Ja, natürlich wünschen wir uns – wie die Jünger schon – dass endlich, endlich alles gut ist. Alle dunklen Wolken, alle Angst aus unserem Leben verschwindet. Aus dieser Welt. Dass es kein Leid, keinen Krieg mehr gibt wie gerade jetzt wieder in Jerusalem, kein Corona, keine Krankenhäuser. Wir wünschen uns, dass endlich das Licht der Liebe Gottes strahlt.

Und – darf ich es Ihnen sagen: Ja, es strahlt! Die Herrlichkeit Gottes strahlt. Und sie strahlt auch auf uns ab. Wir dürfen die Kraft des Heiligen Geistes empfangen! Wir dürfen uns dem entgegenstrecken. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein.“ Mitten in der Finsternis dieser Welt. Der Heilige Geist gibt uns in unser Herz hinein, in unser oft so verwundetes Herz hinein, einen Blick hinter den Vorhang, lässt uns schon ahnen, wie herrlich Gottes neue Welt ist – und dass wir, wenn wir Jesus vertrauen, da unseren Platz haben.

Einige fragten mich nach einem Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, das ich vor zwei Wochen in der Predigt zitiert hatte. Dieses Gedicht bringt das für mich zum Ausdruck:

„Wir treten aus dem Schatten bald in ein helles Licht. Wir  treten durch den Vorhang vor Gottes Angesicht. Wir legen ab die Bürde, das müde Erdenkleid, sind fertig mit den Sorgen und mit dem letzten Leid. Wir treten aus dem Dunkel nun in ein helles Licht. Warum wir´s sterben nennen? Ich weiß es nicht.“

Dietrich Bonhoeffer

Noch warten wir darauf, dass der Vorhang weggehoben wird. Noch warten wir darauf, dass die Wolke Jesus nicht mehr verbirgt. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass das passieren wird. Dass wir Jesus sehen werden, dass wir Gottes herrliches Angesicht sehen werden. Die beiden Engel sagten zu den Jüngern: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.“

Unsere Zeit ist nach vorne offen. Sie erfährt ihre Erfüllung dann, wenn der Vollender kommt. „Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt“ – formulierte es Gustav Heinemann prägnant. Christen sind also zukunftsorientierte Menschen, die in der Zwischenzeit unterwegs sind als Zeugen des Auferstandenen und Wiederkommenden. Menschen, die Gottes Plan zu dem ihren machen und den Gehorsam ihm gegenüber und die Liebe zu ihm an die erste Stelle setzen. An Himmelfahrt, dem Fest der Thronbesteigung Jesu wollen wir dazu neu Ja ­sagen. Ja zu ihm, dem König, Ja zu seinem Reich, das nicht von dieser Welt ist, aber die Reiche dieser Welt infrage stellt, und Ja zu unserer Berufung, als seine Zeugen zu leben, bis er kommt. Wir werden Jesus sehen – entweder, weil er uns zu sich zieht, oder weil er zu uns kommt. Schauen wir also nicht immer auf das dunkle, das müde, sondern auf das Licht, auf Jesus, unseren Herrn.

Gesegnete Himmelfahrt, Ihr Pastor Dietmar Gördel